Wissensarbeiter im Betrieb?
Sie insistieren auf dem Unterschied, der zwischen dem Corporate Gedanken für Wissensmanagement und dem persönlichen Wissensmanagement liegt. Dazu sagten Sie, es sei eine Herausforderung diese beiden Bereiche zusammen zu bringen. Wie stellen Sie sich das vor?
Dr. Jochen Robes: Die Unterscheidung, auf die ich vor allem hinweisen will, ist die zwischen formellem und informellem eLearning. Heute liegt der Schwerpunkt in Unternehmen, was eLearning betrifft, in elektronisch gestützten Kursen, wie wir sie seit den ersten Tagen des CBT kennen. Der Mitarbeiter tritt dabei aus dem Arbeitsprozess heraus, um zu lernen. Er "öffnet" ein Lernprogramm mit einem definierten Umfang, sequenziell abgehandelten Themen und mit Aufgaben und Tests zur individuellen Wissensüberprüfung.
In wissensintensiven Arbeitsprozessen suchen Mitarbeiter jedoch Angebote, die darüber hinausgehen: Sie nutzen das Internet, Suchmaschinen wie Google, Portale und Datenbanken, um relevante Informationen zu finden. Sie greifen auf Online-Communities, Expertengruppen und Diskussionsforen zurück, um sich in Netzwerken zu orientieren und ihre Entscheidungen zu stützen. Sie lernen, ohne aus dem Arbeitsprozess herauszutreten.
Diese Form des Lernens setzt natürlich voraus, dass Mitarbeiter autonom und eigenverantwortlich ihre Arbeits- und Lernprozesse steuern können! Deshalb habe ich, natürlich stark verkürzt, auch vom "eLearning für Wissensarbeiter" gesprochen. An anderer Stelle wird diese Form des arbeitsintegrierten Lernens mal persönliches Wissensmanagement, mal informelles Lernen bzw. e-Learning genannt. Wie auch immer: Es ist bis heute noch viel zu selten ein Thema in der betrieblichen Weiterbildung, obwohl gerade hier ungeheure Potenziale liegen.
Ist denn selbstgesteuertes Wissens-Wachstum, Kooperatives Lernen und Querdenken auf der einen Seite überhaupt kompatibel mit der anderen Seite, nämlich dem LMS basierten, fremdgesteuerten und kontrollierten institutionellen Lernen?
Dr. Jochen Robes: Learning Management Systeme werden heute eingeführt, um formelle Lernprozesse - Präsenztraining wie eLearning - effizienter zu verwalten. Und wenn man an die Anforderungen von gesetzgeberischer Seite, z.B. in den Bereichen Compliance oder Arbeitssicherheit, denkt, führt daran auch kaum ein Weg vorbei.
Man sollte nur deswegen "the other 80%", von denen der amerikanische eLearning-Experte Jay Cross mit Blick auf das informelle Lernen mal gesprochen hat, nicht aus dem Auge verlieren. Will sich die betriebliche Weiterbildung dieser Aufgabe stellen? Oder will sie, etwas zugespitzt formuliert, zum Experten für Compliance-Training und Produktschulungen werden? Aber da Mitarbeiter in wissensintensiven Branchen wie oben beschrieben ihre Lernprozesse mehr und mehr selbst steuern werden, wird sich bald auch die Aufgabe der Personalentwicklung ändern, ja, vielleicht ändern müssen: neben das Management von Bildungsmaßnahmen (via LMS) wird das Messen von Kompetenzen rücken.
Sie haben darauf verwiesen, dass Blogs, Wikis und WebQuests es erneut nicht auf die Agenda der LEARNTEC geschafft haben. Welchen Vorteil könnte ein Kongress und eine Fachmesse für Bildungs- und Informationstechnologie, die bislang vorwiegend anbietergesteuert war, davon haben, Social Software mit ins Programm zu nehmen?
Dr. Jochen Robes: Ein Fachmesse sollte auch ein Forum sein, um neue Entwicklungen und neue didaktische Konzepte zu diskutieren und - ganz klar! - auf ihre Markttauglichkeit zu überprüfen. Ab und zu ein verstecktes Referat, das z.B. nach "Geschäftsmodellen für Online-Communities" fragt, ist da zu wenig! Oder erschöpft sich das Potenzial des Online-Lernens heute in Rapid eLearning?
Was ist mit neuen didaktischen Konzepten, die sich aus dem Einsatz von Blogs, Wikis und Online-Communities ergeben? Anwendungsbeispiele aus dem Bildungsbereich gibt es genug, wenn auch noch überwiegend im universitären Umfeld. Aber vielleicht lässt sich aus dem einen oder anderen auch ein Business Case entwickeln.
Bereits im Jahre 2002 stellte Prof. Treichel fest, dass der Trend nicht nur unweigerlich hin zu Open Source führe, sondern Open Source auch zu einem Label werde, das Unternehmen zukünftig als kompetent ausweist. Wäre ein ähnliches Szenario auch für eine Liäson Corporate Wissensmanagement und Social Software denkbar?
Dr. Jochen Robes: Zuerst müsste man fragen, ob das von Ihnen gezeichnete Bild stimmt. Ich denke nicht in der zitierten Form, denn der Einsatz von "Open Source" zeugt nicht, auch nicht in Zukunft, per se von "Kompetenz". Ein Open-Source-LMS garantiert nicht das bessere oder andere Lernen. Und erst recht nicht eine gewünschte Verhaltensänderung. Das gilt auch für den Einsatz von Social Software, der natürlich zu begrüßen ist, wenn er es Mitarbeitern im Rahmen arbeitsintegrierter Lernprozesse ermöglicht, ihre Aufgaben optimaler zu bewältigen und dabei ihre Kompetenzen weiterzuentwickeln.
Viele Unternehmen versuchen das Wissen ihrer Mitarbeiter zu bilanzieren. Unterliegen wir hier nicht einer Indikations- und Messillusion? Ist implizites Wissen als Prozess wirklich messbar?
Dr. Jochen Robes: Implizites Wissen, also das noch nicht artikulierte, in den Köpfen der Menschen gespeicherte Wissen, Know-How, usw., zu messen, ist qua definitionem "schwierig".
Es kann sicher nicht darum gehen, irgendwann einmal einen unternehmensweiten IQ präsentieren zu können. Aber im Ernst, der Zug fährt ja bereits: Man ist sich ja schon lange einig, dass das Humankapital und die Kompetenzen der Mitarbeiter zukünftig eine größere Rolle bei der Unternehmensbewertung spielen werden. Kompetenz- und Wissensbilanzen werden ja überall heiß diskutiert. Wir werden es zukünftig sicher mehr und mehr mit Kennzahlen zu tun haben, die Auskunft über die Intangible Assets eines Unternehmens geben.
Schwedische Firmen wie Skandia und Celemi oder das Austrian Research Center präsentieren das ja bereits seit einigen Jahren. Kürzlich hat auch das BMWA eine Handreichung für kleine und mittlere Unternehmen herausgegeben, die verschiedene, sehr pragmatische Arbeitsschritte zur Erstellung einer Wissensbilanz beschreibt. Gleichzeitig gibt es verschiedene Ansätze, Kompetenzen zu messen und in Kompetenzbilanzen zusammenzufassen.
Auch wenn es noch nicht den Königsweg gibt und ökonomische sowie pädagogisch-psychologische Ansätze heute noch "quer" zueinander stehen, die Diskussion wird weitergehen. Und sie ist sicher notwendig, denn einfach nur die Weiterbildungsaufwendungen, eine Fluktuationsrate und einen Commitment-Index im jährlichen Geschäftsbericht zu nennen, worauf sich heute noch viele DAX-Unternehmen beschränken, sagt wenig über den Wert ihres Humankapitals aus.
Welche Methoden schlagen sie vor, Wissen auch in den Köpfen zu einem zirkulierenden Prozess werden zu lassen, die bisher darauf aus waren, es zu horten und zu verwalten?
Dr. Jochen Robes: Ich fürchte, hier werde ich keine neuen oder originellen Antworten präsentieren können! Eine notwendige Voraussetzung für ein gelebtes "Knowledge Sharing" ist sicher, dass Menschen darin einen klaren Nutzen für sich erkennen und dass sie sich in einem Umfeld bewegen, in dem diese Prozesse anerkannt, unterstützt und gefördert werden.