Viele Wege führen zum Wiki
Genau dieser Fragestellung widmeten sich Experten und Interessierte auf einem Hessischen eLearning-Fachforum, das im November an der Goethe-Universität in Frankfurt stattfand.
Eingeladen vom Frankfurter Kompetenzzentrum für Neue Medien in der Lehre stellten Vertreter aus Hochschule und Wirtschaft in sechs Fachvorträgen den Einsatz von Wikis in kooperativen Lehr- und Lernszenarien vor.
Dabei diente Wikipedia als Referenzmodell, um Nutzerverhalten, Beteiligungsstrukturen und Rollenausbildungen zu verstehen. Das dort beobachtete individuelle Engagement, die gemeinsame inhaltliche Auseinandersetzung, die Vernetzung von Inhalten und offene Beteiligung aller Interessierten lassen Didaktikerherzen höher schlagen.
Gründe genug für Dr. Christian Stegbauer im Rahmen des Forschungsprojektes "Konstitution und Erhalt von Kooperation am Beispiel von Wikipedia" einen Blick auf die inneren Wirkmechanismen in Wikipedia zu werfen: Exemplarisch stellte er die Bedeutung der Position, die ein Benutzer innerhalb des Wiksystems innehaben kann und die Handlungsmuster zwischen Artikelurheber und -weiterbearbeitern vor.
Für das Engagement der Gruppe der Administratoren stehe, so Stegbauer, mehr die funktionale Integrität des gesamten inhaltlichen Wikisystems im Vordergrund. Hierbei erreichten diese bei der Ausgestaltung ihrer Position eine Intensität, die er mit begeisterten Computerspielern und High-Score-Jägern verglich.
Im Gegensatz zu der überschaubaren Menge der Administratoren, die zudem auf ein gut ausgebautes Netzwerk persönlicher Bekanntschaft zurückgreifen können stehen die gering vernetzten unregistrierten Besucher. Aus diesen rekrutieren sich oft auch die Wiki-Vandalen, deren Treiben wiederum von den Vandalenjägern in Wikipedia verfolgt wird. Zu den registrierte WikiPedia-Nutzern gehören dagegen in der Regel die Verfasser von Ursprungsartikeln. Hier zeigt sich, dass der "Besitz" eines solchen Artikels selten wechselt.
Kooperation erfolgt hier eher in Form von kleinen Korrekturen und qua Diskussion auf der Diskussionsseite eines Artikels und weniger in kompletten Überarbeitungen von Beiträgen - ein Phänomen, das sich auch in eLearning-Szenarien, mit Wikis zeigt. Dies zu wissen, bereitet manch Lehrenden auf eine methodisch geeignete Einführung eines Wikisystems vor und lässt manche Enttäuschungen und Irrwege vermeiden.
Wikis als sich inhaltlich autonom ausgestaltender Selbstläufer sind ohne eine kritische Masse an aktiven und eher passiven Teilnehmenden und einen entsprechenden Zeitraum schwer denkbar. Dies trifft allerdings nicht unbedingt für eine definierbare Gruppe von Teilnehmenden zu, so die Erfahrungen von Dr. Petra Ilyes und ihrem Team aus dem Institut für Kulturanthropologie der Universität Frankfurt. Hier fungiert das so genannte KA-Wiki als Informationsplattform zum Studiengang und zugleich als veranstaltungsbegleitender virtueller Ort.
Die Hierarchie des Wikis sei auf Grund des überschaubaren Personenkreises von 200 Studierenden flach, so Ilyes. Diese können selber Hand anlegen was die Strukturierung der Wiki-Inhalte anbelangt und auch die Funktionalitäten des verwendeten MediaWikis erweitern. Für die technische und redaktionelle Qualitätssicherung und die semesterweise Evaluation sorgt ein Team studentischer Mitarbeiter.
Dass ein Wikis nur eine mögliche Technologie ist, mit Hilfe derer sich kooperative Szenarien umsetzen lassen, zeigte Professor Jutta Hahn von der Fachhochschule Wiesbaden. Ihren "Wiki-Weg" realisiert sie mit dem Content Mangagement System Drupal.
Drupal ist dabei Seminarportal und Arbeitsumgebung für die Studierenden im siebten Semester in einem. Dort erstellen sie Fachartikel, die von zwei Lehrenden kommentiert und in einem peer-review Verfahren durch andere Studierenden verfeinert werden. So entsteht eine Veranstaltungsdokumentation, die eine optimale Vorbereitung auf die Klausur bietet. Wichtig ist es Hahn, dass sie in dieser Phase des Studiums von den Studierenden vor allem als Lernpartnerin angesehen wird.
Im anschließenden Vortrag wies die Mitveranstalterin des Fachforums, Claudia Bremer, daraufhin, dass es für einen erfolgreichen Einsatz von Wikis, bedeutsam ist, schon zu Beginn ein Wiki-Projekt in der geeigneten Sozialform aufzusetzen. Es gilt, Regeln und Verabredungen für das gemeinsame Arbeiten zu finden. Um die Hemmschwelle, Artikel anderer Autoren zu bearbeiten zu überwinden, ist es sinnvoll, von Beginn an Teams für inhaltliche Bereiche zu definieren und diese in Präsenzsitzungen gemeinsam erste Seiten anlegen zu lassen.
Auch die redaktionelle Betreuung der Startseite des Wikis ist hilfreich. So lassen sich für Wiki-Nutzer neue Seiten, unbearbeitete Bereiche sowie "Wunschlisten" für neue Seiten und Baustellen leichter aufzuzeigen. Die Bearbeitung von Wiki-Artikel in Form von Meilensteinen, welche erste Abstracts, fertige Artikel und die gegenseitige Verlinkung vorsehen, erleichtert den Umgang mit Wikis und fördert die mit dem Wikisystem einhergehende neue Lernkultur der gemeinsamen Wissensproduktion.
In der anschließenden Fragensammlung stellte die funktionale und didaktische Abgrenzung von Lernplattformen und andere Tools wie das Groupwaresystem BSCW oder Blogs zu Wikis neben Fragen nach Motivation zur Beteiligung und der Qualität und Bewertbarkeit von Wiki-Beiträgen ein Schwerpunkt dar.
Felicia Herrschaft präsentierte im Forschungsprojekt "Soziologie Frankfurt" wurde ein Wiki-Szenario, das auf die kooperative Texterstellung abzielte. Vielmehr unterstützte das Wiki einen begleiteten, gecoachten Prozess der individuellen Textproduktion. Kooperation und Kollaboration stehen dagegen ganz oben in dem von Thomas Hilmer und Peter Gorzolla vorgestelltem Wiki-Einsatzszenario: Eine stetig wachsende Dokumentation außerschulischer Lernorte im Wiki-Format, die von Lehrern und Schülern bundesweit genutzt und erweitert werden kann, ist das Fernziel von Hilmer.
Bei der Entwicklung ihres Seminars - so Gorzolla - "wurde uns klar, dass durch den Einsatz des Wikis, die übliche Form der inhaltlichen Vermittlung sich auch radikal ändern musste." Die Auswahl und Erarbeitung der Inhalte übernehmen die Studierenden im Wesentlichen selber und dokumentieren dies im Wiki. Die Referenten stellen nur noch die Methoden zu Verfügung und stehen beratend zur Seite.
Für Sarah Voß und David Weiß aus der Experimentierstube des Projektes megadigitale und Mitarbeiter der Professur für Graphische Datenverarbeitung, stand die Verschränkung von eLearning-Content mit Wikis im Vordergrund ihres Vortrags. Autorenssysteme, wie die Eigenentwicklung LernBar, die mittlerweile auch bei Großunternehmen zum Einsatz kommt, stehen eher für eine strukturierte Vermittlung von Inhalten.
Dagegen ermöglicht eine intelligente Verlinkung zu bestehenden oder zu erstellenden Wiki-Artikeln eine aktive und kollaborative Beteiligung der Lernenden. Interessant ist hier auch die kooperative Wissensgenerierung durch Trainees in einer Expertenausbildung in einem Wiki, die in ein Wissensmanagementsystem eines Expertennetzwerkes münden soll.
In der Abschlussdiskussion verwickelten sich, ganz im Wiki-Sinne, VertreterInnen aus der Wirtschaft wie beispielsweise Daimler, T-Systems und Ernst & Young mit Akteuren aus der Hochschule in angeregte Diskussionen über das Potential von Wikis im Spannungsbogen zwischen Wissensmanagement und eLearning.
Zu wünschen ist, dass so angeregte Diskussionen auch in den anderen vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst geförderten ELearning Fachforen stattfinden, die zur Zeit an den verschiedenen Hessischen Hochschulen durchgeführt werden.