ONLINE EDUCA BERLIN: Das Lernen im Übermorgen | CHECK.point eLearning
Zukunftsvisionen

ONLINE EDUCA BERLIN: Das Lernen im Übermorgen

Berlin, Dezember 2012 - (von Martin Thoma) Getreu dem diesjährigen Motto "Reaching Beyond Tomorrow" richtet die 18. Online Educa Berlin unter dem Titel "Learning Futures: Over the Horizon" den Blick auf die Zukunft des Lernens. Es sprachen Seb Schmoller, der bis Mai 2012 als Vorstandsvorsitzender der Association for Learning Technology (ALT) verantwortlich zeichnete; Michael Trucano, bei der Weltbank als Spezialist für Informations- und Kommunikationstechnik und Bildungspolitik tätig; Kayvon Beykpour, Geschäftsführer des amerikanischen Unternehmens Blackboard Mobile und Ayesha Khanna, Gründerin und Direktorin des Hybrid Reality Institute, einem Think Tank, der sich mit zukünftigen Entwicklungen in den Bereichen Technologie und Geopolitik beschäftigt.




Seb Schmoller wies auf die Schwierigkeit hin, in einer sich rasant entwickelnden Welt überhaupt erkennen zu können, was um einen herum geschieht. Er berichtete von einer Tunnelfahrt im Jahr 1964 und von einer Fahrt im TGV vor einigen Tagen. Während der Fahrt durch den mit 106 Kilometern damals längsten Straßentunnel der Welt habe er nach einem langen Gespräch mit einem Freund beschlossen, im IT-Bereich anzufangen. Auf einem Zeitstrahl von damals bis heute lägen - willkürlich ausgewählt - Industrialisierung, Thatcherismus, das Ende der Apartheid, der Irakkrieg, die Finanzkrise und die Wirtschaftsentwicklung Chinas, die jene Englands und Deutschlands überholt hat. "Für eine einzige Googlesuche wird so viel Rechenleistung benötigt, wie für die gesamte Apollo-Mondmission nötig war."

Denke nicht in zu kleinen Proportionen

Den 48 Jahren von 1964 bis heute stellte Schmoller 200.000 Jahre Menschheitsgeschichte gegenüber, in denen sich die Menschheit als Spezies kognitiv nicht verändert habe. Denke man sich ihre gesamte Entwicklung als einen Zeitraum von zwei Stunden, dann mache der Teil, in dem es Geschichte als bewusste, aufgeschriebene Kategorie gebe, gerade einmal zwei Minuten aus. Die Zeitspanne des iPhones wäre drei Sekunden. Schmoller zeigte ein Foto, das er aus dem Fenster des fahrenden TGV aufgenommen hatte: im Vordergrund ist alles verschwommen.


"Wir schauen aus zu naher Entfernung auf Dinge, an denen wir schnell vorbeifahren", sagte er und beendete seinen Vortrag mit einigen Aufforderungen: Denke nicht in zu kleinen Proportionen und beachte die Hintergründe - verdrängte Probleme wie Ausbeutung und Umweltzerstörung bei der Computerproduktion und -verschrottung zum Beispiel. Halte an ethischen Prinzipien fest!

Faszinierend - eine ganze Industrie wird zerstört

Kayvon Beykpour erinnerte daran, wie sich Dinge durch neuartige Technologien grundlegend verändert haben. Er führte das Taxi als besonderes Beispiel an. Die erste einschneidende Neuerung sei die Erfindung des Taxameters gewesen. 100 Jahre nach dem ersten Taxi, die Einführung der gelben Farbe von Taxis in vielen Städten und schließlich der Taxifunk. Jetzt käme das Smartphone. In London gebe es die besten Taxifahrer der Welt. Für einen Taxischein müssten sie eine Prüfung über die Londoner Straßen absolvieren, die zwei bis vier Jahre intensive Vorbereitung erfordere. "Heute gibt es Smartphone-Apps, die dieses ganze Wissen überflüssig machen. Das ist absolut faszinierend - eine ganze Industrie wird damit völlig zerstört!"

In der Kombination von Mobiltelefonen und sozialen Netzwerken erkannte Beykpour weitere Veränderungen. Es entstünden zum Beispiel neue geringqualifizierte Jobs, wenn selbständige Zulieferer ihre Dienste flexibel im Internet anbieten. So habe er neulich einen neuen Akku benötigt und schon kurze Zeit später habe Julio aus dem Internet mit dem passenden Teil vor seiner Tür gestanden.

Offensichtliche Fehler

Michael Trucano beschäftigte sich in seinem Vortrag nicht mit Zukunftsvisionen. Er zählte schlicht Fehler auf, die Schulen und andere Bildungseinrichtungen bei der Ausstattung mit Computern immer wieder machen. So glaubten viele, es käme nur auf die Hardware an und wenn das neue Tablet da sei, lernten die Kinder von selbst.

Andere nähmen an, was irgendwo anders funktioniert habe, müsse auch automatisch in der eigenen Schule klappen, würden die Hardware besorgen, bevor über Inhalte nachgedacht wurde, keine Evaluationen machen, auf unausgereifte Software setzen, schlimmstenfalls auf solche, mit der sie sich an einen bestimmten Hersteller binden, würden nicht an die Betriebskosten denken, annehmen das Mädchen, Jungen, Reiche, Arme ganz selbstverständlich in gleichem Maß von den neuen Computern profitieren und schließlich auch die Lehrer nicht weiterbilden.

"Aber ist es nicht offensichtlich, dass das nicht funktionieren kann?", fragte Trucano rhetorisch. "Ja. Aber warum passiert es dann immer wieder?"

Bildung in der Hybrid Reality

Im Gegensatz zu so viel Bodenständigkeit skizzierte Ayesha Khanna Zukunftsszenarien in der Hybrid Reality, einem neuen Zeitalter, in dem intelligente Technologien das gesellschaftliche Zusammenleben bestimmen würden. Julio, Kayvon Beykpours Akkuzulieferer, würde sich für diese Zeit einen neuen Job suchen müssen, denn seine Aufgabe hätten dann fahrerlose Autos und Roboter übernommen.

"Wir sollten nicht mehr für Jobs ausbilden, die Maschinen machen werden", warnte Khanna. Bildung müsse enger an Jobs gebunden werden, sonst mache sie die Menschen nur arbeitslos und depressiv. Da die Maschinen immer mehr machen würden, müssten die Menschen ihr Leben lang neu für neue Jobs lernen. In Khannas Zukunftsvision sind selbst die Popstars von Computerfiguren ersetzt worden und auch gesunde menschliche Körper technisch optimiert.

Begeistert war Khanna von MOOCs, massive open online courses, die zum Teil heute schon weltweit kostenlose freie Bildung bieten. Ob diese Kurse allerdings tatsächlich kostenlos bleiben werden und wer am Ende dann auf welche Weise doch für die Kosten aufkommt, das sei eine offene Frage. Durch das Internet werde es in jedem Fall noch leichter werden, Informationen zu bekommen, nicht unbedingt aber Bildung.

Im Anschluss an ihren Vortrag stellt sich Ayesha Khanna in einer eigenen Session weiteren Fragen. Dort führt sie auch ihre Vorstellungen zu Erziehung und Bildung etwas genauer aus. Die Vorteile des Online-Lernens sah Khanna in der größeren Bewegungsfreiheit und Flexibilität. Man müsse nicht notwendigerweise immer zur selben Zeit am selben Ort sein. Ohne Standards, gute Lehrer und das reale Zusammentreffen mit anderen Lernenden kann sie sich Bildung in der Zukunft aber auch nicht vorstellen. Erziehung - ob online oder offline - müsse kooperativer werden, in dem Sinn, dass gemeinsam etwas geschaffen werde. "Ein Beispiel: Man muss den Schülern nicht beibringen, Computerspiele zu spielen. Man muss ihnen beibringen, sie zu entwickeln."