Interaktiv, in Echtzeit und emotional
Dabei liegt nach seiner Ansicht die Zukunft in firmeninternen Welten hinter einer geschützten Firewall, kontrolliert und standardisiert.
Virtuelle Welten sind eine Weiterentwicklung des Web 2.0, das dem Informationsaustausch unter Internetnutzern dient und die Bildung zahlreicher Nutzergemeinschaften fördert. Mit Hilfe moderner Computer- und Grafiksysteme entstehen wirklichkeitsnahe 3D-Darstellungen, die in den virtuellen Welten Verwendung finden und sowohl in der kommerziellen Szene als auch in der Spielebranche auf wachsendes Interesse stoßen. In etwas fünf bis zehn Jahren wird laut Herber Kircher ein 3D-Internet das bestehende Internet ablösen.
Claus Nehmzow, PA Consulting sieht in Second Life diverse praktische Anwendungsmöglichkeiten wie Lernunterstützung bei der Verarbeitung komplexer Informationen im Kollegenkontakt oder in der Gruppe und das Abhalten von virtuellen Konferenzen und Zusammenkünften. Dabei verschaffen virtuelle Umgebungen den Teilnehmern ein sehr innovatives Umfeld.
In der Personalbeschaffung können Bewerber unter Wahrung der Anonymität interviewt werden. Einen weiteren Vorteil virtueller Welten sieht Claus Nehmzow beim Kunden- oder Mitarbeitertraining, da die Teilnehmer mit realistischen Rollenspielen emotional in die zu erprobenden Geschäftssituationen eintauchen.
Emotionalität und Inversion sind triftige Gründe für das Abhalten von Trainings im virtuellen Raum, wie auch andere Teilnehmer der vom Münchner Kreis organisierten Konferenz "Virtuelle Welten im Internet" anführten. Als ein praktisches Beispiel wurde die Ausbildung von kalifornischen Feuerwehrleuten genannt, die Extremsituationen in Second Life trainieren.
Im Cyberspace können Abläufe durch mehrfaches Wiederholen einer gleichen Situation eingeübt werden. Aufnahmen ermöglichen eine genaue Analyse. Durch den Nachbau realer Umgebungen können auch Mitarbeiter und Kunden in anderen Regionen der Welt geschult werden. Ein Anwendungsbeispiel sind etwa so genannte Ad Hoc Trainings im Bereich Kundenservice und Reparatur. Mittelständische Unternehmen, die in alle Welt exportieren, können so ihre Servicequalität verbessern, was langfristig die Kundenbindung stützt.
Das Porträt einer virtuellen Firma - Wonderland Inc. - präsentierten Uwe Jockel-Kordes und Martin Jeske von Sun Microsystems. Der Hintergrund dieser Schöpfung war die Tatsache, dass mehr als 43 Prozent der Sun-Mitarbeiter ohne festen Büroarbeitsplatz tätig sind und einen kommunikativen Anlaufpunkt benötigen. Mit Hilfe des virtuellen Sun Campus wurde im Rahmen des Forschungsprojekts MPK20 eine typische Sun-Arbeitsumgebung mit allen ihren Arbeitsmitteln geschaffen.
Hier können Szenarien aus der Arbeitswelt wie Konferenzen, Demos und Arbeitgruppen-Sitzungen mit echten Teilnehmern und mit Avataren durchgeführt werden. Ziel dieses Projekts ist die Effizienzsteigerung unter den Mitarbeitern im Rahmen eines ganzheitlichen Ansatzes für die Unternehmenskommunikation.
Nicht alle Referenten konnten Positives berichten. Auf Schwierigkeiten bei der kommerziellen Nutzung von virtuellen Welten machte Dr. Heinrich Arnold von der Deutschen Telekom aufmerksam. Oftmals sei die Authentizität von Angeboten fragwürdig. Da die Anonymität der Avatare menschliches Fehlverhalten begünstige, seien verlässliche Reputationssysteme empfehlenswert.
Von Skepsis war auch die Stellungnahme von Dr. Nikolaus Mohr, Accenture GmbH geprägt. Nach seinen Beobachtungen haben sich viele Erwartungen von Unternehmen und Nutzern nicht erfüllt. Etliche Unternehmen hätten ihre Niederlassungen im virtuellen Raum wieder geschlossen, und die Zahl der Suchabfragen sei stark gesunken. Als Experimentierfeld für neue Ideen aber seien die virtuellen Welten durchaus geeignet.
Weitere Diskussionspunkte waren rechtlichen Fragen wie Urheberrechte und der Umgang mit Betrug und Geldwäsche, die sich im Umgang mit virtuellen Welten ergeben. Die vollständigen Arbeitsergebnisse der Konferenz werden vom Münchner Kreis publiziert.
Der Münchner Kreis ist eine gemeinnützige übernationale Vereinigung für Kommunikationsforschung, die sich mit Fragen der Technologie, der Gesellschaft, der Ökonomie und der Regulierung im Bereich von Informations- und Kommunikationstechniken sowie der Medien befasst. Die Vereins- und Vorstandsmitglieder gehören unter anderen folgenden Unternehmen und Institutionen an: IBM, Bertelsmann, Deutsche Telekom, SAP, Verlagsgruppe Holtzbrinck, Fraunhofer Institute, Daimler, Siemens, Microsoft, Nokia, das ZDF, der Bayrische Rundfunk und die Ludwig-Maximilians Universität München.