Banker simulieren den Ernstfall
Filialen eröffnen oder schließen? In die IT-Sicherheit investieren oder in die Weiterbildung der Mitarbeiter? In ländliche Gegenden expandieren oder in Stadtnähe bleiben? All diese Entscheidungen müssen Führungskräfte in Banken, Versicherungen und anderen Finanzdienstleistern treffen. In der Regel reicht das Budget nicht für alle Maßnahmen. Um die richtigen Prioritäten zu setzen, müssen Schulungsteilnehmer am eigenen Leib erfahren, welche Konsequenzen ihre Entscheidungen nach sich ziehen. Planspiele und Simulationen mit anschließender Erfolgskontrolle durch Analysetools zeigen, welche Alternativen den größten Gewinn versprechen.
Beim Finance Day in der Tübinger Topsim Academy konnten Personal- und Weiterbildungsbeauftragte der Finanzbranche in Workshops erfahren, wie solche Simulationen in der Praxis funktionieren: Mehrere konkurrierende Teams erhielten eine konkrete Aufgabe mit unterschiedlichem Material - angefangen bei den Geschäftszahlen über das Kundenverhalten bis hin zu Zeitungsartikeln, aus denen Trends abgelesen werden mussten. Jedes Team erarbeitete eine Strategie, und da es Gewinner und Verlierer gab, war der Anreiz besonders hoch, eine möglichst erfolgreiche Lösung zu finden.
Ein bis zwei Stunden reichen natürlich nicht aus, um eine komplexe Unternehmensstrategie zu entwickeln, deshalb konnten die Teilnehmer aus mehreren vorgegebenen Handlungsalternativen wählen und vor dem Plenum verteidigen. Im realen Weiterbildungsalltag haben die Nachwuchsführungskräfte deutlich mehr Zeit.
Beispiel Banking Sales Simulation bei der Sparkassenstiftung für internationale Kooperation: Je nach Zielgruppe läuft der Workshop zur Banken-Vertriebssteuerung zwei bis fünf Tage. Drei bis fünf Gruppen mit jeweils 15 bis 20 Teilnehmern konkurrieren um die beste Lösung und müssen in dieser Zeit bis zu 20 Entscheidungen treffen. "Ziel ist es, dass unsere Mitarbeiter das regionale Bankvertriebssystem kennenlernen und die Chancen und Risiken von Kundengruppen in Schwellen- und Transferländern einschätzen können", erklärt Abteilungsdirektor Ferdinand Feldgen, der als Referent geladen war.
Die Sparkassenstiftung setzt Planspiele in unterschiedlichen Bereichen ein, beispielsweise für allgemeine Bankenthemen, Risikomanagement, Sales und Market Penetration, Mikrofinanzierung und BWL für Kleinstunternehmen. "Die Spiele müssen gepflegt und regelmäßig angepasst werden", so Feldgen. Bei den vielen Zielgruppen ist das gar nicht so einfach: "Die Länder haben unterschiedliche Regulationen, und außerdem muss man Inhalte und Methoden immer wieder auf den Prüfstein stellen."
Auch beim weltweiten Rückversicherer PartnerRe 6 sind die Spieler bei der Weiterbildung realistischen Einflüssen ausgesetzt. Die Teams müssen sechs simulierte Geschäftsjahre (Spielrunden) mit wechselnden Rahmenbedingungen durchlaufen. "Für Banken und Versicherungen gelten ab 2013 neue Regulierungen, das ist eine völlig neue Situation für Finanzdienstleister", erklärt Referentin Magdalena Temesi-Cano, Senior Underwriter bei PartnerRe. Die Spieler werden beispielsweise mit Finanzmarktturbulenzen, Naturkatastrophen und Konjunkturabschwüngen konfrontiert und haben die Aufgabe, eine entsprechende Preisgestaltung, Risikoprüfung, Schadensregulierung und Vertriebsstrategie zu entwickeln.
Christine Boese, Ausbildungsleiterin und Personalentwicklerin bei der VR Bank Schwäbisch Hall-Crailsheim, hat noch keine Erfahrung mit Planspielen und wollte sich beim Finance Day ein Bild davon machen. "Wir wollen die Abläufe in einer Bank als Ganzes vermitteln, nicht nur Einzelbereiche wie etwa die Beratung oder Buchhaltung", erklärt sie. Den Mehrwert von Simulationen hat sie bereits erkannt: "In der Ausbildung ist man Befehlsempfänger, in einem Spiel muss man selbst Entscheidungen fällen und die Verantwortung für das eigene Tun übernehmen."
Sie sieht Simulationen als Ergänzung zur Ausbildung: "Das Spiel muss die zwei bis drei Jahre Ausbildung in ein Gesamtgeschehen einordnen." Außerdem will sie es als Prüfungsvorbereitung zur Verfügung stellen. Die Umsetzung beginnt im Sommer 2011 mit circa 20 Azubis im zweiten und dritten Lehrjahr.
Katrin Hein, Marketing Managerin von Tata Interactive, ist mit dem Verlauf des Finance Day zufrieden: "Unsere Simulationen werden kundenspezifisch für den internen Gebrauch entwickelt und in der Regel nicht öffentlich gezeigt. In geschlossenen Veranstaltungen wie dieser kann die Branche Erfahrungen austauschen, sich vernetzen und voneinander lernen."