Wem gehören Wissen und Information?
Herr Prof. Kuhlen, wem gehören Wissen und Informationen im wissenschaftlichen Umfeld zurzeit und wer profitiert von wissenschaftlichen Publikation?
Prof. Rainer Kuhlen: Seit gut 15 Jahren geht es mit der Literaturversorgung der Wissenschaft durch die Bibliotheken bergab: Neben den sinkenden Haushalten haben vor allem die drastisch gestiegenen Kosten für Zeitschriften dafür gesorgt, dass selbst Kernzeitschriften nicht mehr von Wissenschaftlern eingesehen werden können. Diese Unterversorgung mit Information steht im krassen Widerspruch zu den kommerziellen Erfolgen der großen Zeitschriftenverlage. Das kann man kaum anders als Ausbeutung des mit öffentlichen Mitteln produzierten Wissens bezeichnen.
Auf dem internationalen Wissenschaftsmarkt wird bisher sehrgut verdient. Der Marktführer, Reed Elsevier, setzt jährlich rund acht Milliarden Euro um, davon 2,5 Milliarden mit Wissenschaftsinformationen. Der Gewinn liegt regelmäßig zwischen zehn und 30 Prozent. Das gilt auch für die anderen großen Wissenschaftsverlage wie Springer Science + Business Media, Thompson und Wiley. Die kleineren deutschen Verlage sind auf dem Markt der Zeitschriften kaum relevant.
Die hohen Gewinne lassen sich letztlich nur erzielen, weil die Öffentlichkeit für die Produktion des Wissens und auch für die Qualitätssicherung durch die fachliche Bewertung der Arbeiten aufkommt. Die Autoren erhalten meist kein Honorar, denn ihnen kommt es mehr darauf an, durch Publikationen wahrgenommen zu werden und ihr Ansehen und damit ihren wissenschaftlichen Erfolg zu mehren.
Zudem können aufgrund des Monopolcharakters die Preise fast beliebig diktiert werden. All das kann nicht im Interesse der Öffentlichkeit sein. Das von der Wissenschaft produzierte Wissen gehört allen. Das nutzt aber nichts, wenn der Zugang zu diesem Wissen über die Publikationen systematisch durch die Informationswirtschaft und das Urheberrecht verknappt wird.
Woran scheitert es, ein in Ihrem Sinne bildungs- und wissenschaftsfreundliches Urheberrecht zu schaffen.
Prof. Rainer Kuhlen: Zunächst muss man sagen, dass die Formulierung eines "bildungs- und wissenschaftsfreundlichen Urheberrechts" aus der Koalitionsvereinbarung der jetzigen Bundesregierung stammt. Das wollte sie erreichen.
Angesichts dieses partiellen Marktversagens in einem für unsere Gesellschaft entscheidenden Segment, sollte die Politik eigentlich regulierend eingreifen. Aber weit gefehlt, vielmehr reagiert sie mit Maßnahmen zur Stärkung des Verwertungsinteresses und des rechtlichen Schutzes. Wie das zum Beispiel die Bundeskanzlerin mit ihrer eigenen wissenschaftlichen Vergangenheit in Einklang bringen kann, ist nicht nur mir schlicht ein Rätsel.
Langfristig befindet sich aber eine Gesellschaft, die mehr Energie darauf verwendet, sich um die Sicherung der Eigentumsverhältnisse von bestehendem Wissen und um die Sicherung von Verwertungsansprüchen zu kümmern, in einer ökonomisch, wissenschaftlichen, politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Abwärtsentwicklung.
Stattdessen sollten wir bessere Rahmenbedingungen schaffen, die die Produktion von neuem Wissen begünstigen. Wir müssen uns um die Nachhaltigkeit von Wissen kümmern, damit auch zukünftige Generationen Zugriff auf das Wissen der Gegenwart haben. Dabei kann und sollte die Informationswirtschaft weiter beteiligt sein. Nur muss sie neue, den elektronischen Umgebungen angemessene Geschäfts- und Organisationsmodelle entwickeln, z.B. aus dem langjährigen Versagen der Musikindustrie lernen und Information attraktiv, frei und nicht restriktiv kontrollierend anbieten.
Wie können wir das Ziel des freien Zugangs zu wissenschaftlichen Publikationen erreichen?
Prof. Rainer Kuhlen: Die Schaffung eines bildungs- und wissenschaftsfreundlichen Urheberrechts für die sich die herausbildende Wissens- und Informationsgesellschaft bleibt ein zentrales bildungs- und forschungspolitisches Ziel. Dafür setzt sich zum Beispiel das Aktionsbündnis "Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft" ein.
Notwendig ist deshalb die Novellierung des Urheberrechts in einem vom Bundestag schon beschlossenen Dritten Korb, die die spezifischen Anforderungen von Bildung, Wissenschaft und Forschung in der Wissens- und Informationsgesellschaft sowie die Anforderungen der wissensbasierten Wirtschaft stärker in den Mittelpunkt rückt. Im Mittelpunkt dieser Novellierung sollten die rasante technologische Entwicklung im IuK-Bereich sowie die Rahmenbedingungen für die neuen Lehr- und Lernplattformen stehen.
Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung setzt sich bereits dafür ein, dass die bestehende Regelung hinsichtlich der öffentlichen Zugänglichmachung für Unterricht und Forschung hinsichtlich der bestehenden Rechtsunsicherheit sowie der geltenden Bereichsausnahme überprüft und die Befristung der Regelung ersatzlos gestrichen wird. Allerdings ist die für Ende 2008 in Aussicht gestellte Entfristung des so genannten Wissenschaftsparagraphen derzeit stark gefährdet.
Gegen die vom Bundesjustizministerium formulierte Beschlussvorlage hat offenbar ein "wissenschaftsverlagsfreundlicher" CDU-Politiker viele Bundestagsabgeordnete mobilisieren können. Ein Wegfall von § 52a des Urheberrechtsgesetzes wäre ein Desaster für Bildung und Wissenschaft.
Der Versuch der Verlage durch urheberrechtliche Verknappung den freien Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen zu unterminieren, wird auf Dauer nicht gelingen. Wissenschaftler setzen bereits auf Selbsthilfe und beginnen das Publikations- und Verteilungsgeschäft nach Open-Access-Prinzipien selbst zu organisieren. Die Öffentlichkeit muss stärker über die Knebelung der Wissenschaft durch das derzeitige wissenschaftsfeindliche Urheberrecht informiert werden.