TakeLaw revolutioniert Rechtswissenschaften
Die Hochschulen Berlin, Bremen, Dresden, Hamburg, Kiel, Köln, Passau, Potsdam und Wismar setzen das Programm bereits ein.
Anfang November wurde das Internetportal dazu frei geschaltet. In der ersten Phase können juristische Lösungsstrukturen via Internet über das TakeLaw-System abgerufen, selbst erstellt, ausgetauscht oder erweitert werden. Ab Frühjahr 2006 sollen dann 200 Übungsklausuren aus allen Rechtsgebieten zur Verfügung stehen und am PC gelöst werden können.
Was genau unter TakeLaw zu verstehen ist und welche Vorteile es in der juristischen Ausbildung bietet, erläutert der Rechtsinformatiker Professor Tony Möller.
Sie haben ein internetbasiertes System für Jura-Studierende entwickelt, das juristische Sachverhalte strukturiert und mit Hilfe dessen Studierende Übungsklausuren machen können. Was war ihre Motivation?
Prof. Tony Möller: Rückmeldung - das ist der entscheidende Punkt. Jura ist ein Massenstudiengang. Wir haben circa 100.000 Studierende. Ich möchte allen eine individuelle Rückmeldung geben können. Was bisher an Klausuren läuft ist viel zu wenig.
Bei einer Klausur bekommen wir bis zu 15 Seiten Ausarbeitung als Text, manchmal von 60, manchmal aber auch von 600 Studenten. Jede einzelne Arbeit muss durchgeschaut werden. Das dauert viel zu lange. Mit dem neuen System ist es anders. Erstens brauchen die Studenten keinen Text mehr schreiben, sondern konzentrieren sich auf die Lösung. Das spart den Studenten viel Zeit. Zweitens kann der Rechner die Klausuren auswerten und zwar sofort. Das hat eine große Relevanz für die Didaktik in der Rechtswissenschaft.
Was genau muss man sich unter der TakeLaw-Sprache vorstellen?
Prof. Tony Möller: TakeLaw ist eine grafische Darstellung juristischer Inhalte. Es ist ein Instrument, das Gesetzestexte aber auch juristische Wertungen wie beim Windows-Explorer in einer Baumstruktur darstellt. Während in einem juristischen Text die Information, ob etwas gegeben ist oder nicht, per Sprache untergebracht ist, benutzen wir dafür eine grafische Darstellung. Allerdings gibt es da ein paar logische Besonderheiten, mit deren Hilfe die Struktur zu leben beginnt.
Wie funktioniert TakeLaw?
Prof. Tony Möller: Nehmen wir als Beispiel die Frage nach der Herausgabe eines Autos. Für die Beantwortung muss man sich nach dem Gesetz richten und prüfen, ob alle Voraussetzungen für die eine oder andere Rechtslage besteht. In einem juristischen Text wird die Gedankenfolge, auf welches Merkmal es denn ankommt und welches die Untermerkmale davon sind, in normaler Prosa ausgedrückt. Das tun wir nicht. Ähnlich wie bei Multiple-Choice-Verfahren kann man bei TakeLaw ankreuzen, welches Merkmal für den juristischen Sachverhalt zutrifft und welches nicht, zum Beispiel wer in diesem konkreten Fall der Besitzer ist.
Wir arbeiten mit zwei Farben rot für nein und grün für ja. Aus den mit ja oder nein angekreuzten Argumenten wird errechnet, ob der Oberpunkt gegeben ist oder nicht bis ich zur Ausgangsfrage gelange. Wenn ich nun ein neues Argument habe, dann kann ich das dazwischen setzen. Auf diese Weise entsteht eine extreme Transparenz unserer Begründungen. Ich bekomme eine Lösungs-Landkarte.
Was ist der Vorteil des neuen Computersystems?
Prof. Tony Möller: Die Juristen machen sich seit jeher Lösungsskizzen, aber die macht jeder anders. Der eine hat sie im Kopf, der andere macht sich Stichworte, der Dritte eine Zeichnung. Es gibt keinen Standard. Wir definieren mit dieser Systemsprache, die in der Lage ist, die juristischen Inhalte abzubilden, im Netz einen Standard. Der Vorteil ist, dass wir die computergenerierten Lösungsskizze mit Hilfe des Computers analysieren können, denn die ist eindeutig. Ich kann von jemandem die Lösung ansehen und mit anderen Lösungen automatisiert vergleichen. Das ist der große Fortschritt. Das kann ich in sprachlicher Form nicht, da brauche ich immer jemanden, der das interpretiert.
Und für die Studierenden?
Prof. Tony Möller: Wer die logische Struktur des Gesetzes nicht im Kopf hat - und unsere Studenten sollen das ja erst noch lernen - hat gar keine Chance dem zu folgen. Der findet das alles nur sehr kompliziert. Im Strafrecht haben wir locker Strukturen über drei-, vier- oder fünfhundert Merkmale. Bisher mussten wir die Struktur den Studenten in langen Vorlesungen auseinandersetzen und inständig darauf hoffen, dass bitte auch keiner den Faden verliert. Mit TakeLaw können wir die Gesetze klar strukturieren und übersichtlich darstellen.
Zum anderen können wir die Studenten besser betreuen. Wir haben das Problem, dass uns die Studenten in einer besonderen Anforderung aus den Fingern gleiten. Wir können ihnen zwar alles Mögliche beibringen, aber wenn sie ihr Wissen ausprobieren wollen, können sie das nur in einer Klausur. Teilweise warten die Studenten drei Wochen auf ihr Ergebnis. Sie müssen aber gleich eine Rückmeldung bekommen. Die werden sie bei TakeLaw sofort bekommen und sie erfahren auch noch welche Wissenslücken sie haben.
Und wie können sie die Wissenslücken mit TakeLaw schließen?
Prof. Tony Möller: Wenn wir jetzt erkennen, alles war wunderbar, aber an einer Stelle hat der Student noch ein Problem - das sehen wir und der Rechner - dann werden multimediale Vorlesungen eingespielt. Zu den einzelnen Bausteinen der Online-Klausuren gibt es dann erklärende Vorlesungen. Das sind Audiodateien, die von Professoren in unserem Tonstudio aufgenommen werden. Dazu werden Materialien, Grafiken oder schriftliche Zusammenfassungen eingeblendet. In der Vorlesung wird also genau das multimedial erklärt, was der Student noch falsch gemacht hat. Er bekommt sofort Hilfe und lernt, wie es richtig geht.
Damit holen wir einfach den Hauslehrer an den Rechner. So hoffen wir, dass die Studenten effizienter lernen und sich wirklich mit dem beschäftigen, was für die wichtig ist. Denn die Zeit ist ja leider auch für einen Studenten endlich. Die Kombination vom Instrument TakeLaw und der Vorlesungskomponente macht die Sache erst richtig rund.
Werden Jura Professoren dadurch überflüssig?
Prof. Tony Möller: Ehrlich gesagt, wir können es getrost einem Rechner überlassen, die Wenn-dann-Beziehungen in der Aussagen Logik darzustellen. Das ist nur Handwerkszeug. Die notwendigen Schlussfolgerungen, die übrigens auch in unseren Gutachten und Texten auftauchen, die werden jetzt automatisch sichtbar. Worauf es bei Jura wirklich ankommt, sind die strittigen Punkte. Dahin muss man erstmal kommen. Man kann nicht alles nur auf Baumstrukturen zurückführen, es ist ja auch Verständnis zu den Wertungen zu entwickeln. Dazu werden die Professoren noch dringender gebraucht.
Wie ist das Projekt entstanden und wie viele arbeiten daran mit?
Prof. Tony Möller: Mit dem ganzen Projekt haben wir eigentlich schon 1990 angefangen. Die ursprüngliche Frage war, ob es überhaupt ein Verfahren gibt, mit einer Grafik juristische Inhalte darzustellen? Damals war das Internet noch nicht so verbreitet, so dass die Idee im Grunde ihrer Zeit voraus war. Jetzt ist es soweit, dass jeder Student auf das Internet zugreifen kann. Durch DSL wird die multimediale Zuschaltung weiterer Elemente möglich. Sonst könnten wir keine Vorlesungen übertragen. TakeLaw kann jetzt tatsächlich einen hohen Wert entwickeln. Der Zeitraum für -šGeht es überhaupt' hat ungefähr dreizehn Jahre gedauert. Konkret das System entwickelt haben wir seit eineinhalb Jahren.
Wir haben für die Entwicklung der Software eine Kernmannschaft von 8 Leuten. Dazu gehören aber auch Mitarbeiter, die Vorlesungen aufnehmen, als Audiodatei schneiden, Visualisierungen und Animationen anfertigen, also alles machen, was im eLearning Bereich multimedial notwenig ist.
Welche Technik liegt dem System zugrunde?
Prof. Tony Möller: Standard. Jeder kann das System über einen ganz normalen Internetbrowser nutzten. Wir haben dafür ein eigenes Programm geschrieben und greifen nicht auf eine fertige Lernplattform zurück. Die Video- und Audiodateien werden mit Flash erstellt.
Welche Rückmeldungen bekommen Sie?
Prof. Tony Möller: Von den Studenten ist die Rückmeldung völlig eindeutig: Die meisten Studenten sind ausgesprochen dankbar, die juristischen Zusammenhänge auf diese Weise visualisiert zu bekommen.
Jetzt können sie auch konkret fragen, zum Beispiel ich verstehe Zeile 34 nicht. Man kann mithilfe des Instruments Einzelfragen sehr konkret und für alle verständlich anhand der Visualisierung des juristischen Kontextes diskutieren, was bisher nur sprachlich ging, mit der ganzen Präzision oder fehlenden Präzision, die uns Sprache gibt. Was muss Sprache da leisten, damit der Empfänger der Botschaft ständig die Gesamtübersicht zum juristischen Kontext behält und die Botschaft auch versteht. Ich kann bei Sprache ja auch nicht gezielt mal hier oder dort hin springen, sondern muss das Problem linear abarbeiten. Bei TakeLaw kann ich nach unterschiedlichen Suchkriterien vorgehen oder direkt zu dem Punkt gehen, der strittig ist.
Wie ist die Resonanz bei den Kollegen?
Prof. Tony Möller: Die ist sehr unterschiedlich. Ich glaube nicht, dass wir alle Kollegen begeistern können. Warum sollte jemand seine Lehre umstellen und sich die Mühe machen, es auf diese Weise darzustellen, wenn er es jahrelang anders gemacht hat. Vielleicht gibt es ja auch berechtigte Vorbehalte.
Unsere Zielgruppe sind aber die Studenten. Und dort gibt es bisher eine sehr gute Resonanz. Wir wollen den Leuten doch etwas beibringen. Das muss gut strukturiert sein, sonst kann man es ganz schwer lernen. Das gilt jedenfalls für die meisten. Deshalb ist dieses Instrument in der Ausbildung jedenfalls sehr gut geeignet.
Können Sie sich vorstellen, dass irgendwann Gesetzbücher in einer Baumstruktur aufgebaut sein werden?
Prof. Tony Möller: Ja, aber das darf ich nicht laut sagen. Bis dahin muss auch noch viel Wasser den Rhein hinunterfließen. Derzeit fänden es die Studenten jedenfalls gut. Denn wir müssen bisher immer das Gesetz nehmen - alles juristische Prosa - und uns überlegen, was ist denn eigentlich die gesetzliche Struktur dahinter. Daraus bauen wir eine Lösungsstruktur, damit es für die Leute verständlich wird und wir damit arbeiten können. Und dann übersetzen wir das Ergebnis ironischerweise wieder zurück von der Struktur in die juristische Prosa.
Der letzte Schritt wäre für Sie eigentlich überflüssig?
Prof. Tony Möller: Ja. Das ist derzeit sogar das Thema einer Diplomarbeit im Bereich Wirtschaftsinformatik. Denn wir können auf Knopfdruck aus unserer TakeLaw Lösungsstruktur juristische Gutachten in juristischer Prosa erstellen oder auch andere juristische Texte. Man könnte auch einen längeren erklärenden Text für juristische Laien automatisch produzieren. Der Grundgedanke, von dem ich alles ableite, ist die juristische Lösung. Die wird durch die Kunstsprache von TakeLaw verkörpert.
Wissen Sie was Sie das Projekt gekostet hat?
Prof. Tony Möller: Da es solange gedauert hat, ist es schwierig, das auszurechnen. Wir haben einen Kostenplan für die Mittel erstellt, die man braucht, um dieses System am Leben zu erhalten, um neue Klausuren zu bekommen und neue Autoren zu bezahlen. Dabei kommen wir auf Beträge zwischen zwei und sechs Euro pro Klausur. Wenn diese Einnahmen dann in der Masse erfolgen, würde es ausreichen, um das System aufzubauen. Man braucht ständig Mitarbeiter für die Programmierfortentwicklung, eine Hotline, Autoren, Qualitätssicherung. Es sind Autorenkonferenzen zu organisieren. Da möchte ich nicht auf Fördermittel hoffen, das muss sich selbst tragen. Es wird aber auch kostenlose Bereiche geben.
Jura ist bekanntermaßen ein Fachbereich, der nicht unbedingt als Vorreiter bei der Nutzung neuer Medien gilt …
Prof. Tony Möller: … darum mussten wir ja auch 13 Jahre lang warten. Mittlerweile arbeiten eigentlich alle Studenten mit PC. Jetzt werden wohl eher die Etablierten Berührungsängste haben. Die Studenten gucken ganz klar nach den Vor- und Nachteilen neuer Angebote, die werden schnell begeistert sein. Wie die übrigen Juristen darauf reagieren muss man erstmal abwarten. Das hängt wohl immer davon ab, welchen Nutzen jemand daraus ziehen kann.
Das Instrument ist leicht zu handhaben, aber Jura wird dadurch von der Idee nicht einfacher, es wird nur leichter verständlich durch die neue Sprachform.