Wissensbilanz - Made in Germany | CHECK.point eLearning
Methode für KMU

Wissensbilanz - Made in Germany

Berlin, August 2009 - (von Angelika Eckert) Kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) ein schlagkräftiges Instrument für ein zukunftorientiertes Management an die Hand zu geben, dies ist erklärtes Ziel des Projekts "Wissensbilanz - Made in Germany: Intellektuelles Kapital strategisch steuern". Prof. Dr.-Ing. Kai Mertins, Leiter des Competence Center Wissensmanagement und Direktor des Bereiches Unternehmensmanagement am Fraunhofer IPK erläutert CHECK.point eLearning, warum es für KMU essentiell ist, ihr intellektuelles Kapital transparent zu machen.




Dabei unterstützt sie die vom Fraunhofer IPK und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie initiierte Wissensbilanz.


Welche Inhalte und Ziele verfolgt das Projekt "Wissensbilanz - Made in Germany: Intellektuelles Kapital strategisch steuern", das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie beauftragt wurde?

Prof. Kai Mertins: In traditionell finanzorientierten Bilanzierungssystemen blieben immaterielle Werte wie Motivation, Innovationskraft oder Wissen weitestgehend unberücksichtigt. Die Wissensbilanz hingegen zielt darauf ab, intern (Management) und extern (Stakeholder) Transparenz über die immateriellen Vermögenswerte zu erzeugen.

Eine Wissensbilanz beschreibt Vermögenswerte, die nicht direkt greifbar, aber entscheidend für den aktuellen und zukünftigen Geschäftserfolg sind. Mit ihrer Hilfe lassen sich die immateriellen Ressourcen, wie das Wissen und die Kompetenzen der Mitarbeiter, aber auch interne Führungsstrukturen und externe Beziehungen, systematisch entwickeln und wertschöpfend einsetzen.

Die darauf basierende Bewertung des Human-, Struktur- und Beziehungskapitals ermöglicht dem Management fundierte Aussagen zur Zukunftsfähigkeit und zum strategischen Entwicklungspotential des Unternehmens zu treffen. Auf einer solchen Basis können KMU gezielt Veränderungsmaßnahmen einleiten, die Organisationsentwicklung strategisch planen und überwachen sowie ihr intellektuelles Kapital überzeugend nach außen kommunizieren.

Dadurch wird das Markenversprechen "Made in Germany" mit einem zeitgemäßen Managementkonzept untermauert. Außerdem ermöglicht diese Art der Bewertung den Banken und Kapitalgebern, auch die so genannten weichen Erfolgsfaktoren bei Kreditvergaben und Investitionsentscheidungen systematisch zu berücksichtigen.

Was haben kleine und mittlere Unternehmen davon, wenn sie eine Wissensbilanz erstellen?

Prof. Kai Mertins: Für die Erstellung einer Wissensbilanz gibt es natürlich ganz unterschiedliche Motivationen. Im Wesentlichen geht es dabei um die systematische Steuerung der kleinen und mittleren Unternehmen, um die Akquisition von Fremd- und Eigenkapital und um die Erfüllung von rechtlichen Anforderungen.

Auch das so genannte Intellektuelle Kapital ist ein Vermögenswert, der beispielsweise Kapitalgeber überzeugen kann. Wichtigstes Moment bei der Erstellung einer Wissensbilanz ist jedoch nach wie vor die Transparenz eigener Stärken und Schwächen. Die Wissensbilanz gibt dem Management ein transparentes Bild über das Unternehmen und ermöglicht die Priorisierung von Maßnahmen zu ihrer Verbesserung.

Mitarbeiter und Management lernen, wie sich die einzelnen Einflussfaktoren auf das Gesamtergebnis des Unternehmens auswirken. Sie erfahren damit, an welcher Schraube sie in Zukunft drehen müssen, um das Gesamtergebnis zu verbessern. Damit sind Unternehmen besser für die Zukunft gerüstet.

Wie sieht die Erstellung einer Wissensbilanz praktisch aus?


Prof. Kai Mertins: Um einen Vorgeschmack zu bekommen, können Unternehmer unter www.wissensbilanz-schnelltest.de einen kurzen Schnelltest durchführen. Dieser wirft bereits ein Schlaglicht auf die derzeitige Lage des Unternehmens.

In der Praxis wird sonst zunächst ein Arbeitskreis von Mitarbeitern gebildet, der das Unternehmen in Bezug auf Hierarchie und Funktionen repräsentativ abbildet. In diesem Arbeitskreis sind in den meisten Fällen neben dem Geschäftsführer noch weitere acht bis zehn Mitarbeiter vertreten.

Mithilfe einer begleitenden Software wird Punkt für Punkt eines methodischen Leitfadens abgearbeitet: Dabei geht es um die Dokumentation der Möglichkeiten und Risiken im Geschäftsumfeld sowie die aktuelle strategische Ausrichtung der Organisation aufzeigt. Sie dokumentiert die Informationslage, rund um Wettbewerber, Kunden, Lieferanten, Mitarbeiter (vorhandene und potenziell verfügbare), das soziale Umfeld, die Konjunktur (Wachstum / Internationalisierung) sowie zur politischen Entwicklung und zu rechtlichen Regelungen. Die Ergebnisse der abschließenden Bewertung werden in einer Wissensbilanz festgehalten.

Es ist von großer Bedeutung, dass der gesamte Prozess von einem externen Moderator begleitet wird, um sicher zu stellen, dass nicht einzelne Personen dominieren, sondern eine ausgeglichene Perspektive aus allen Bereichen der Organisation entsteht.

Wichtig ist ebenfalls, dass die Mitarbeiter bei der Wissensbilanzierung authentisch und kritisch sind. Nur so können sie die realen Schwächen und Stärken des Unternehmens analysieren. Es lohnt sich nicht die Wissensbilanz zu beschönigen, um nachher gut dazustehen. Ein abschließendes Audit, bei dem Mitarbeiter nach dem Zufallsprinzip befragt werden, deckt Abweichungen ohnehin auf.

Können Sie uns ein kurzes Beispiel zur Einführung einer Wissensbilanz geben?

Prof. Kai Mertins: Ein überzeugendes Beispiel für die Wichtigkeit einer Wissensbilanz ist das Unternehmen SØR Rusche GmbH. Das 1956 gegründete Familienunternehmen ist mit 122 Mitarbeitern bundesweit im Textileinzelhandel tätig. Das mit Firmensitz in Oelde/Nordrhein Herrenoberbekleidung spezialisiert und deutscher Marktführer im Premium-Segment der Herrenausstatter.

SØR kam die Wissensbilanz bei Zinsverhandlungen mit Kapitalgebern zugute. Nach dem Ranking der Finanzbilanz eröffnete das Kreditinstitut dem Unternehmen eine Erhöhung der Zinsen. Negativ schlugen sich in der Finanzbilanz beispielsweise Mietkosten und überdurchschnittlich hohe Personalkosten nieder. Die SØR-Kollektion wird nur in eigenen Fachgeschäften von speziell geschultem Personal vertrieben, die meist in exponierter Innenstadtlage positioniert sind und daher hohe Mieten kosten.

Anhand der Wissensbilanz konnte nachgewiesen werden, dass SØR über bessere Kundenbeziehungen verfügt als die Konkurrenz. Die Mitarbeiter hatten einen hohen Wissensstand und in allen Abteilungen herrschte eine durchweg hohe Motivation. Zudem verfügte SØR über ausgezeichnete Lieferantenbeziehungen und war daher in der Lage, die besondere Strategie eines Premium-Anbieters auch in Krisenzeiten erfolgreich umzusetzen.

Die Ergebnisse der Wissensbilanz bewogen die Kreditinstitute schließlich eine Änderung im Ranking zugunsten der SØR Rusche GmbH vorzunehmen und ihr damit vergünstigte Zinssätze anzubieten.

Wie viel Aufwand bedeutet dies für kleine und mittlere Unternehmen?


Prof. Kai Mertins: Der Aufwand ist relativ überschaubar. Die Unternehmen müssen zunächst zwei bis drei Workshops mit jeweils zwei Tagen durchführen. Das heißt wir sprechen hier von 48 Personentagen als interner Aufwand. Hinzu kommen rund neun Personentage für den externen Moderator. Der Aufwand für die Wissensbilanz steht also in keinem Verhältnis zum Nutzen.

Ist ein Unternehmen stark wissensbasiert, eignet sich die Einführung der Wissensbilanz schon ab 25 Mitarbeitern. Ansonsten hat sich gezeigt, dass bei Unternehmen ab 50 bis 100 Mitarbeitern eine systematische Struktur eingeführt werden muss. Dann lohnt sich auch eine Wissensbilanz.

Bereits 200 KMU haben die Wissensbilanz inzwischen durchgeführt. Das ist im Angesicht von 3,6 Millionen KMU in Deutschland noch immer eine verschwindend geringe Anzahl. Aber da der Leitfaden bereits 55.000 Mal und die Software 25.000 Mal heruntergeladen wurde, hoffen wir, dass die Anzahl der Wissensbilanzen in naher Zukunft stark steigen wird.

Wird die Wissensbilanz das Management-Tool der kommenden Jahre?


Prof. Kai Mertins: Ziel des Entwicklerteams "Arbeitskreis Wissensbilanz" und des BMWi ist es, die Wissensbilanz für den deutschen Mittelstand auf möglichst breiter Basis nutzbar zu machen. Die Methode mit begleitender Software zur systematischen Erfassung, Darstellung und Bewertung der erfolgskritischen Innovationskraft wird damit ein ebenso wichtiges Werkzeug für die Unternehmensführung werden wie Balance Scorecard, Risikomanagement und Benchmarking.

Ohne Intellectual Capital Management wird in Zukunft kein Unternehmen mehr auskommen. Noch sind wir in Deutschland wirtschaftlich gut aufgestellt, weil wir eine Menge innovativer Produkte zu bieten haben. Doch natürlich sind die Produktionskosten beispielsweise in China oder Indien weit niedriger und viele Produkte lassen sich leicht kopieren. Umso wichtiger ist es, das Beziehungskapital mit Lieferanten und Kunden systematisch transparent zu machen und das Innovationspotenzial als Wettbewerbsvorteil zu nutzen.

Da diese Methode in den gesättigten Märkten in ganz Europa relevant werden wird, arbeiten wir zurzeit an einem integrierten Management-Tool. Ebenso wie die Wissensbilanz werden wir in einem europaweiten Projekt dabei eine Methode entwickeln, die mittelständischen Unternehmen in rund zwei bis drei Jahren als umfassendes Management-Tool dienen soll.