"Social Software spielt die erste Geige" | CHECK.point eLearning
Einsatz muss sich lohnen

"Social Software spielt die erste Geige"

Tübingen, April 2007 - Unter dem Titel "Unterwegs im Web 2.0 - Charakteristiken und Potenziale" hat Stefanie Panke als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Wissensmedien in Tübingen und Redaktionsmitglied des Portals e-teaching.org einen Streifzug durch Chancen und Risiken von Web 2.0-Anwendungen im Bereich der akademischen Lehre verfasst. Für CHECK.point eLearning ließ sie sich auf Fragen nach Sinn, Ziel und Verantwortlichkeiten ein.




Wie Sie in Ihren Ausführungen zu den Charakteristika des Web 2.0 beschrieben haben, liegen die angestrebten Ziele in einer erhöhten Partizipation bei der Inhaltserstellung, einer besseren Wiederverwendbarkeit von Inhalten sowie in einer effektiveren Recherche. Welcher dieser Zielaspekte spielt Ihrer Meinung nach im Bereich der Lehre die größte Rolle und wie kann er realisiert werden?

Stefanie Panke: Hier werden zwei Aspekte von Web 2.0 angesprochen. Zum einen die eher technologisch orientierte Richtung "Semantic Web", also standardisierte, XML-basierten Formate die die automatische Aggregierung von Inhalten und intelligente Suchoptionen unterstützen, zum anderen die zunehmende Verbreitung von "Social Software", also Anwendungen, die sich durch eine niedrigschwellige Handhabung auszeichnen und eine kooperative Inhaltserstellung ermöglichen.

Aktuell spielt Social Software in der Lehre die erste Geige. Weblogs, Wikis, Netzwerkbörsen oder Bookmarking-Dienste sind unkompliziert zu nutzen und laden zum spielerischen Ausprobieren ein. Eine Reihe von Anbietern ermöglicht zum Teil kostenlos mit ein paar Klicks das Anlegen eines Veranstaltungsblogs oder Seminarwikis. So kann mit wenig Aufwand Studierenden ein Präsentationsforum für ihre Arbeitsergebnisse geboten werden.

Das kann - muss aber nicht -zur aktiven Teilhabe an der inhaltlichen Ausgestaltung des Unterrichts motivieren. In meiner aktuellen Lehrveranstaltung probiere ich gerade, die Studierenden für die Wikiversity zu begeistern. Ob's klappt, wird sich im Laufe des Semesters zeigen…

Langfristig wird aber auch die technische Seite der Medaille für die eLearning-Community an Bedeutung gewinnen. Gerade im Zusammenhang mit "Collaborative Tagging" und "Folksonomies" gilt es Wege zu finden, die im Wildwuchs entstandenen Metadaten durch Verarbeitungsverfahren optimal zu erschließen und beispielsweise Relationen sichtbar zu machen. Bereits jetzt spielen XML-Standards eine große Rolle, wenn es darum geht, Austausch und Mehrfachverwendung von Inhalten zu ermöglichen: Die Aggregierung per RSS oder die Entwicklung von "Microformats".

Im Zusammenhang mit Weiterbildung erwarten sich vor allem Unternehmen viel von "Communities of Practice" (CoP). Können CoP's auch im universitären Zusammenhang eine wichtige Rolle übernehmen oder sind Studierende nicht per se eine Peer-to-Peer-Group mit CoP-Interessen und -Ansätzen?

Stefanie Panke: Peer-to-Peer-Börsen sind bei den Studierenden ohne Zweifel sehr beliebt! Ob hier der Lernzweck im Vordergrund steht, sei mal dahingestellt… Communities of Practice sind per Definition selbstorganisierte Systeme. Klar, informelles Lernen lässt sich ebenso wenig verordnen wie ein gutes Arbeitsklima. Nichtsdestotrotz kann natürlich zwischen mehr oder weniger idealen Bedingungen für Community-Building unterschieden werden.

Im universitären Zusammenhang können Zielsetzungen sein, die Studierenden langfristig an "ihre" Fakultät oder Hochschule zu binden und Eigeninitiative zu fördern. Das kann auch ganz ohne Medien passieren, wenn die Einnahmen von der Semester-Party der Bibliothek zu Gute kommen oder eine Studierendeninitiative mit den Verkehrsunternehmen den Preis für das Semesterticket aushandelt.

Online wie offline gilt: Der Einsatz muss sich lohnen - die Gegenleistung muss dabei nicht zwingend monetär sein, sondern kann auch in der ideellen Anerkennung liegen. Eine an deutschen Hochschulen lang vernachlässigte Gruppe sind die Alumnis. Gerade hier stellen Online-Communities eine gute Möglichkeit dar, den Kontakt halten.

Für die Lehre ist es wichtig, die für ein Semester zusammengewürfelte Seminargruppe nicht mit einer praxisbezogenen Arbeitsgemeinschaft zu verwechseln! Entsprechend sollten keine überzogenen Erwartungen an die intrinsische Motivation der Teilnehmenden gehegt werden. In der Regel gilt, dass Weblogs, die vom Dozenten initiiert werden, auch als dozentenzentrierte Umgebung wahrgenommen werden. Da sind schon Anreize von Nöten, die sich auf die Prüfungsleistungen beziehen, um die Studierenden zum Mitmachen zu bewegen.

Prof. Kerres erklärte im vergangenen Jahr: "Die Aufforderung, mit einem zum Beispiel in der Lernplattform inkludierten Diskussionsforum, Blog-, Chat- oder Konferenztool zu arbeiten, erscheint so als ob wir von den Studierenden fordern würden, sie müssten ihre Mitschriften auf kariertem Papier mit Bleistiften der Stärke HB mitschreiben und anschließend in Ordnern der Marke X archivieren." Wie viel Web 2.0-Ansporn und -Aktivität liegt in der Verantwortung der Lehrenden und wie viel in jener der Studierenden?

Stefanie Panke: Ich finde das Zitat sehr treffend - zumal ich aus Schulzeiten durchaus entsprechende Vorgaben kenne… Wenn die Studierenden ihre Bookmarks bei del.icio.us verwalten, ihre Studienerfahrungen im persönlichen Blog reflektieren und ihre Arbeitsgruppe bei Zeit-Campus organisieren, dann erscheint es tatsächlich absurd, ihnen für die Lehrveranstaltung das Wiki in einer Lernplattform aufoktruieren zu wollen - das vielleicht sogar am Ende des Semesters wieder gelöscht wird.

Allerdings sind längst nicht alle Studierenden derart medienaffin. Wenn die Zielgruppe der Veranstaltung noch keine oder kaum Erfahrungen mit Web 2.0 Applikationen mitbringt, kann ein geschützter Raum durchaus von Vorteil sein. Außerdem geht es ja in Veranstaltungen nicht zu letzt auch um die Interessen der Dozierenden. Wer eine Vorlesung hält oder ein Seminar gibt, möchte vielleicht nicht alles für Jeden zugänglich online stellen.

In wie weit unterstützt und ergänzt "informelles Lernen" auf der Basis von Wikis, Blogs und anderen Diensten den formalen Bildungsauftrag des akademischen Lehrbetriebs? Bzw. kann es ihn auch behindern? Wo liegen die Chancen, wo die Gefahren?

Stefanie Panke: Hier kommt das Thema Medienkompetenz ins Spiel. Das informelle Lernen im Web erfordert Geschicklichkeit bei der Beurteilung von fremden Quellen und im Umgang mit der eigenen medialen Öffentlichkeit.

Wenn Studierende neben Vorlesungsmitschriften und dem Semesterapparat auch im Netz recherchieren, ist das zunächst mal ganz normal. Es zeugt ja auch von Engagement, wenn z.B. in einer Community-Plattform Fragen zur Ausgestaltung der Hausarbeit gestellt werden. Deshalb halte ich Diskussionen wie "Ist Wikipedia eine zitierbare Quelle?" eigentlich für verfehlt. Stattdessen gilt es, eine korrekte Zitation von Webquellen einzuüben und ein Gespür für den Umgang mit verschiedenen Textsorten zu entwickeln. Also: Was belege ich eher mit einem Journal-Artikel und für welche Aussagen ist Wikipedia, eine Forumsdiskussion oder auch ein Interview eine geeignete Quelle?

Ein anderes Problemfeld ist der sensible Umgang mit der eigenen medialen Öffentlichkeit. Was ich online von mir preisgebe, sollte ich offline auch vertreten können! Wenn Aussagen über Dritte gemacht werden, kann die Angelegenheit schnell haarig werden. Nach einem Vortrag zum Thema Web 2.0 erzählte mir ein Dozent, wie ein freches Posting seiner Studierenden unversehens peinlich wurde. Diese hatten eine missglückte Videokonferenz mit einem Kommilitonen im Auslandssemester scherzhaft im Netz kommentiert: "Bei Professor Sowieso haben Ausländer keine Chance!". Der weitere Textverlauf klärte zwar den Zusammenhang, der Betroffene wollte aber diesen Eintrag verständlicherweise nicht in seiner Google-Trefferliste wissen…

Informelles Lernen erfordert also durchaus Kompetenzen - Know-how in Sachen Netiquette, urheberrechtliches Grundwissen oder auch das persönliche Informationsmanagement. Web 2.0 gehört schon deshalb in die Lehre, damit die Studierenden Gelegenheit haben, den Umgang mit Social Software Tools zu lernen. Denn Medienkompetenz ist immer ein Teil des Bildungsauftrags von Hochschulen.