Universitäre Forschung rund um Web 2.0
Im Rahmen der DeLFI 2008 in Lübeck fand im September zum zweiten Mal der Workshop "eLearning2.0" statt. Welches Ziel verfolgt die Veranstaltung?
Dr. Christoph Rensing: Bei DeLFI handelt sich um einen wissenschaftlichen Workshop, bei dem Wissenschaftler Beiträge einreichen, die von einem wissenschaftlichen Komitee begutachtet werden. Die ausgewählten Beiträge werden auf dem Workshop als Input für Diskussionen in der Gruppe vorgestellt.
Die Initiatoren sind Professor Ulrik Schroeder von der RWTH Aachen und ich selbst, die den Workshop im Jahr 2007 erstmals organisiert haben. Erweitert wurde das Team durch Herrn Professor Andreas Harrer von der Universität Eichstätt-Ingolstadt und Herrn Steffen Lohmann von der Universität Duisburg-Essen.
Ziel des Workshops war es, aktuelle und zukünftige Forschungsthemen und Perspektiven im Zusammenhang mit dem Einsatz von unter den Schlagworten Social Software und Web 2.0 zusammengefassten Anwendungen und Technologien vorzustellen und zu diskutieren. Im Gegensatz zum vergangenen Jahr wurden nicht primär Konzepte sondern erste Umsetzungen, Ergebnisse und Erkenntnisse präsentiert und diskutiert.
Dabei haben wir während des Workshops selbst eine auf dem Community Dienst Twitter basierende Anwendung zur Strukturierung und Dokumentation der Diskussion genutzt und damit auch Referenten in die Diskussion eingebunden, die nicht in Lübeck vor Ort waren. Sucht man bei Twitter nach den Tags #vm08_w1 bis #vm08_w6 so findet man verschiedene Diskussionsbeiträge.
Was waren die Ergebnisse der Fachtagung?
Dr. Christoph Rensing: Den Schwerpunkt des diesjährigen Workshops bildeten die vier Themenbereiche Weblogs, Wikis, semantisches Tagging und virtuelle Online-Welten. Dabei handelte es sich sehr stark um individuelle Ansätze hinsichtlich Dimensionen Technik und Didaktik. Mostafa Akbari und Christian Spannagel haben beispielsweise ein Raster vorgestellt um anderen Lehrenden Leitlinien vorzugeben, wie Blogs verwendet werden können. Erfahrungen zeigen, dass Studierende über den Einsatz von Blogs und Wikis vermehrt aktiviert werden können und kontinuierlicher arbeiten.
Dazu bedarf es aber seitens der Lehrenden eines guten Motivationsdesigns. Der Aufwand für die Lehrenden gegenüber einer klassischen Vorlesung oder einem klassischen Seminar wächst sicherlich.
Der Einsatz semantischer Verfahren in Systemen für eLearning befindet sich zumeist noch in der Entwicklungsphase. Hier gibt es viele Ansätze um die Menge des Contents zu bewältigen. Diese verheißen für die Zukunft eine Vereinfachung. Praktische Erfahrungen liegen aber bisher kaum vor.
Wie sollten Blogs und Wikis sinnvoll in der Lehre eingesetzt werden?
Dr. Christoph Rensing: Das kann man sicherlich nicht generell beantworten. Es gibt viele Szenarien in dem der Einsatz diese Technologien Sinn macht, insbesondere dann, wenn die Studierenden entweder selbst Inhalte erarbeiten oder wenn sie miteinander an einem Thema arbeiten sollen.
Wichtig ist es, dass sie auch eine Rückmeldung entweder von den anderen Studierenden oder von den Lehrenden bekommen. Es ist völlig demotivierend einen Blog-Beitrag zu schreiben und dieser wird nicht gelesen oder kommentiert. Es genügt also keinesfalls die Anwendungen bereit zu stellen.
Welche Anreizsysteme haben Sie entwickelt, um Studenten für eine aktive Mitarbeit in einem Blog zu gewinnen?
Dr. Christoph Rensing: Beiträge in Blogs oder Wikis sind im Fachgebiet Multimedia Kommunikation an der Technischen Universität Darmstadt Teil der Gesamtbewertung der studentischen Leistung. Bei der Bewertung sehen wir uns die Blog-Beiträge der Studenten sehr genau an. Auf interessante Wiki-Beiträge von Studenten verweist Professor Steinmetz zudem in den zahlreichen Präsenzveranstaltungen hin.
Wenn die Nutzer sich durch user-generated Content vermehrt beteiligen, wie werden die Institutionen der Masse von Informationen und Inhalten Herr?
Dr. Christoph Rensing: Heute ist die Situation zumeist so, dass der Content außerhalb der Institutionen entsteht. Die Studierenden - und auch die Lehrenden - nutzen vermehrt öffentliche, kostenfreie Dienste und Plattformen. Neben der institutionellen Welt entsteht ein öffentlich zugängliches Universum aus einer Vielzahl verschiedener Anwendungen und Systeme.
Aufgabe der Hochschulen ist es darauf zu reagieren. Foren innerhalb unserer monolithischen Lernplattformen werden von den Studierenden kaum akzeptiert, wenn sie sich in öffentlichen Plattformen wie Studi VZ regelmäßig mit anderen Studierenden austauschen.
Viel wichtiger ist aber die Frage, wie werden die Lernenden der Vielzahl der Ressourcen im Web Herr und wie kann sicher gestellt werden, dass sie ihre Zielsetzung nicht aus dem Auge verlieren. Wie können Sie einschätzen was verlässliches Wissen ist und was nicht oder was relevant für ihr Lernziel ist oder nicht.
Hierzu hat Frau Böhnstedt aus meiner eigenen Arbeitsgruppe im Rahmen des Workshops einen interessanten Prototyp vorgestellt, der auf Basis semantischer Wissensnetze und typisiertem Taggen eine Unterstützung zur persönlichen Strukturierung der gefundenen Wissensartefakte oder Webressourcen liefert.
Wie sieht ein guter Mix von formalem und informellem Lernen in Universitäten und Hochschulen Ihrer Meinung nach aus?
Dr. Christoph Rensing: Wir benötigen sicherlich auch an den Hochschulen beides. Formales Lernen hat seine Berechtigung immer dort wo Wissen vermittelt werden soll. Nicht umsonst ist die Vorlesung trotz aller Anfeindungen und Versuche Neuerungen einzuführen auch heute noch eine Vorlesung. Sie ist für Lehrende und Studierende einfach ein sehr probates Mittel der Wissensvermittlung.
Geht es um die Vermittlung von Kompetenzen, auch von sozialen Kompetenzen, die von unseren Studierenden im Arbeitsleben benötigt werden, also z. B. Strukturierungsfähigkeit, Diskussionsfähigkeit, Präsentationskompetenzen, sind informelle Formen oftmals adäquater und das ist eigentlich unabhängig vom Einsatz der neuen Technologien.
Insbesondere aber müssen wir unsere Studierenden auch mit den neuen Anwendungen des Web 2.0 konfrontieren und sicherstellen, dass sie bewusst damit umgehen können und die Vorteile nutzen können, denn damit werden sie auch in ihrem Berufsleben zum Zwecke der fortlaufenden Weiterbildung stets konfrontiert sein.