Quo vadis didaktische Qualität?
Im Mittelpunkt ihres Zertifizierungskonzepts steht die didaktische Gestaltung. Wie lässt sich didaktische Qualität definieren und verbessern?
Prof. Euler: Wir erfassen in diesem Konzept die didaktische Qualität eines Programms über insgesamt 13 Kriterien. Dabei stützen wir uns auf die Auswertung von Forschungsbefunden, ohne die Programme in eine Einheitsschablone pressen zu wollen. Ein Teil der Kriterien bezieht sich auf die Anwendung verbreiteter didaktischer Standards, z.B. bei der Lernzielausweisung, der lernpsychologischen Abstützung und der Konstruktion von Testaufgaben. Entscheidend ist auch die Umsetzung und Begründung eines didaktischen Mehrwerts, etwa hinsichtlich der Veranschaulichung von Lerninhalten, der Möglichkeit zur aktiven Auseinandersetzung des Lernenden mit den Lerninhalten oder der Option einer lernerindividuellen Bearbeitung der Lerninhalte.
Welche weiteren Dimensionen sind entscheidend?
Prof. Euler: Als Ergebnis einer bei uns durchgeführten Delphi-Studie gehen wir davon aus, dass vier weitere Dimensionen die nachhaltige Umsetzung von E-Learning-gestützten Bildungsprogrammen tragen: In der ökonomischen Dimension geht es um einen effektiven und effizienten Ressourceneinsatz, in der organisatorischen Dimension sind die Bildungsprogramme in flexible Strukturen und Prozesse einzubetten. Schließlich ist in der technologischen Dimension eine stabile und problemgerechte Funktionalität aufzubauen. Wesentlich ist zudem die kulturelle Dimension, in der es um Ansätze zur Veränderung von häufig noch traditionellen Lehr-Lernkulturen geht.
Lassen sich Qualitäts- und Rentabilitätsziele verbinden?
Prof. Euler: Zwischen diesen beiden Zielen besteht grundsätzlich ein Spannungsverhältnis, das sollte man nicht beschönigen. Dennoch denke ich, dass man im konkreten Fall beide Zielgrößen in eine Balance bringen muss, um zwei verbreitete Erfahrungen aus der Vergangenheit nicht fortzuschreiben. So treffe ich in Unternehmen häufig Mitarbeiter, die eine gewisse Reserviertheit gegenüber E-Learning besitzen, weil sie häufiger mit vielleicht rentablen, aber didaktisch ideenlosen Programmen konfrontiert wurden. Demgegenüber trifft man in Hochschulen auf Programme, die zwar qualitativ hochwertig sind, aber aufgrund der enormen Aufwendungen über den Status eines Pilotprojektes nicht hinauskommen.
Wie ist E-Learning an der Universität St. Gallen strategisch aufgesetzt und wie sehen praktische Umsetzungen aus?
Prof. Euler: Wir haben uns bewusst nicht auf die verbreitete bottom-up-Strategie beschränkt, nach der Pilotprojekte finanziert werden, ohne zugleich an einem verbindenden Strategierahmen zu arbeiten. E-Learning wurde in den Kontext einer neuen, zentral vereinbarten Lehrkonzeption gestellt, die als Reformprojekt einen Innovationsrahmen definiert. Zentrales Element ist das mediengestützte Selbststudium, das 25% des Gesamtcurriculums umfasst. Es begründet eine gänzlich neue Lehrform, die auch mit eigenen Prüfungsformen verbunden ist. In diesem Rahmen werden E-Learning-gestützte Lernumgebungen entwickelt, die das Leitbild eines "mediengestützten Selbstlernens im Team" fördern. Das Gros des Lernens verläuft für die Studierenden selbstgesteuert oder in Kooperation mit Mitstudierenden. Mit den Dozierenden kommunizieren sie über das Netz im Rahmen von Diskussionsforen, Chats zur Prüfungsvorbereitung oder virtuellen Klassenzimmern. Es gibt aber auch Beispiele, in denen zwei- bis dreimal im Semester noch Kontaktveranstaltungen mit einem Tutor im Sinne einer Expertenbefragung oder zur Klärung offener Fragen stattfinden.
Was können Unternehmen davon lernen?
Prof. Euler: Wesentlich und übertragbar erscheint mir insbesondere die Ausrichtung von Bildungsinnovationen an strategischen Leitlinien und ein darauf bezogenes Change- und Qualitätsmanagement. Dies gilt letztlich für jede Form des Bildungsmanagements, das sich nicht als reaktiv verwaltend, sondern als proaktiv gestaltend versteht.