Berufsbegleitende Ausbildung: Partizipation ist alles
Wie beurteilen Sie die künftige Entwicklung von Web 2.0-Technologien auf das Lehrangebot der Fernuniversität in Hagen?
Prof. Dr. Claudia de Witt: Web 2.0 Technologien, die auch unter Social Software fallen, sind Weblogs, Wikis, RSS-Feeds/Feedreader, aber auch offene Foren, mit denen jeder sich und andere komfortabel und zeitsparend auf den neuesten Stand des jeweiligen Interessens- und Wissensgebiets bringen kann.
Für das Lehren und Lernen allgemein und speziell an einer Fernuniversität bedeutet Web 2.0: Lehrende geben Orientierungshilfen, statt alle Ressourcen bereit zu stellen. Lernende erstellen ihre persönliche Lern- und Arbeitsumgebung, sie bringen eigenes Wissen mit, statt die vorgegebenen Inhalte und Werkzeuge zu nutzen. Die Studierenden nehmen damit zunehmend die Rolle von Lerninhaltsproduzenten ein.
Das Lernen erfolgt nicht mehr nur in eine Richtung (vom Lehrenden zum Lernenden), sondern vielfach verknüpft in alle Richtungen (vom Lehrenden zum Lernenden und zurück, vom Studierenden zum Studierenden, wieder zum Lehrenden usw.). Lernen ist somit nicht mehr klassisch rollenverteilt, sondern Lehrende übernehmen eher eine lernbegleitende, moderierende und beratende Rolle.
Web 2.0 entspricht den konstruktivistischen Lernansätzen, welchen vorausgesagt wurde, eine zentrale Rolle beim Lernen einzunehmen. Warum? Weil ich mir meine eigene Wissenswelt gestalten und mein virtuelles soziales Netzwerk aufbauen kann. Web 2.0 erfordert selbständige, selbst initiierte Prozesse des Lernens. Die virtuelle Kommunikation auf diesen verschiedenen Kanälen ist zentral für das Web 2.0. Man kann kommunizieren, kollaborieren und partizipieren. Die verschiedenen Kanäle des Web 2.0 werden dazu genutzt, ein soziales Gemeinschaftsgefühl zu bilden und kollektives Gemeinwissen zu nutzen.
Soziale Kompetenzen wie Kommunikationskompetenz sind wichtige Voraussetzungen für die Nutzung von Web 2.0 in Lernprozessen. Web 2.0 unterstützt das selbstorganisierte, selbst bestimmte Lernen. Ein guter Kommunikationsstil gerade in virtuellen Lernräumen ist sehr wichtig. Damit wird auch eine Form von Qualitätssicherung bezüglich der eingestellten Inhalte herbeigeführt.
Welche Zielgruppen sprechen die Angebote an? Wie ist die Nutzung bei Lehrern und Schülern bzw. von Professoren und Studenten?
Prof. Dr. Claudia de Witt: Es gibt keine Altersgruppe, die sich nicht mit Web 2.0 beschäftigen würde, von Kindern und Jugendlichen über Erwachsene bis hin zu Senioren. Und den einen ist es wichtig ihre Kenntnisse und sich selbst zu präsentieren, den anderen geht es mehr um den Konsum.
Web 2.0 spricht alle Personen an, die während ihrer Lernprozesse im Studium nicht auf sich alleine gestellt sein möchten. Das sind Personen, die kommunizieren, kollaborieren und partizipieren wollen. Sie wollen Wissen teilen, durch Kooperation, intensivem Lernaustausch, aber auch durch Präsentation und Mitteilungsbedürfnis hinsichtlich neuester Informationen.
Die Nutzung von Web 2.0-Anwendungen in der Hochschullehre ist zunehmend auf dem Vormarsch. Es sind allerdings nicht alle Professoren sofort zugeneigt, aber generell auch nicht abgeneigt. Studierende hingegen lernen schnell den Mehrwert von Web 2.0 für Lernprozesse kennen und springen schneller auf den Zug auf. Fazit: Web 2.0 wird zunehmend populärer und bei steigender Akzeptanz selbstverständlicher Bestandteil alltäglicher Lernprozesse.
Welche Maßnahmen hat die Fernuniversität Hagen in Bezug auf das Lernen mit Web 2.0-Unterstützung getroffen?
Prof. Dr. Claudia de Witt: An der Fernuniversität tauschen sich Studierende untereinander und mit Lehrenden in Foren, Chats und virtuellen Klassenzimmern aus und erstellen Wikis. Fast alle Fakultäten benutzen die Lernplattform Moodle für die Betreuung der Studierenden in den einzelnen Studiengängen und somit für die Fernlehre. Als Lernplattform wird Moodle zwar nicht direkt zum Web 2.0 gezählt, aber es integriert die einzelnen Anwendungen wie z. B. Foren, Weblogs und Wikis. Sie ermöglicht die Zusammenarbeit, eine soziale Nutzung und die Teilhabe an der Entstehung gemeinsamen Wissens.
So entstehen studiengangsbezogene Lerngemeinschaften. Eine davon ist z. B. das "Studierendencafé", ein virtuelles Forum für Studierende im Bachelor Bildungswissenschaft. Dieses Café dient den Studierenden als soziales Netzwerk. Sie tauschen sich über Studieninhalte, Fragen zur individuellen Lernorganisation und zum persönlichen Lernmanagement aus. Auch für Klatsch und Tratsch ist dort Raum.
Je nach Interessenlage bauen Studierende Wikis auf. Es werden gemeinsam Glossare erstellt. Es gibt Studienbriefe zum Thema Web 2.0, die die Erprobung und Anwendung von Web 2.0-Tools zum Gegenstand haben. Natürlich gibt es auch Forschungsprojekte und Abschlussarbeiten dem Thema Web 2.0. Nicht zuletzt hat die Fernuniversität in Hagen ein Internetangebot für Lehrende erstellt, das technische Unterststützung bei der Etablierung eines Weblog-Tools (z.B. wordpress) bietet.
Ein Social Network für Absolventen, zunächst der Bildungswissenschaft, wird zum Ende des Jahres eröffnet. Nicht nur ein Informationsportal, sondern auch ein Portal, das von der Kommunikation und Mitteilungsbereitschaft der Studierenden lebt, die dort z.B. kommentieren, was sie nach dem Studium gemacht haben. Der Kontakt über dieses Social Network kann für die eigene berufliche Orientierung genutzt werden.
Welchen Anteil am Lehrangebot fällt Web 2.0-Technologien zu? Wird das informelle Lernen das formale Lernen mit der Zeit ablösen?
Prof. Dr. Claudia de Witt: <7b>Ablösen wird das informelle Lernen das formale Lernen an Hochschulen nie, sein Bestandteil wird aber noch weiter wachsen. Web 2.0-Tools werden nicht mehr und nicht weniger genutzt als andere Tools. Genau wie es immer Papier und Präsenzseminare geben wird und eLearning dieses ergänzt, so ergänzt auch informelles Lernen zunehmend formale Lernprozesse.
Eine Hochschule ist eine Institution, die formale Lernprozesse für die Qualifikation ihrer Zielgruppe braucht, um für berufliche Tätigkeitsfelder vergleichbar auszubilden. Es wird immer nachweisbare Abschlüsse und einen Lehr-/Studienplan, ein Curriculum geben - auch bei den gerade eingeführten BA/MA-Studiengänge ist dies der Fall, es wird Kurse mit vordefinierten Kursinhalten geben, die als roter Faden für die Ausbildung von Kompetenzen und Qualifikationen dienen und das Basiswissen entwickeln.